Wahrheit, die Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit.

Diese etwas schwammige Beschreibung stellt freilich allenfalls eine Annäherung an die Wahrheit dar. Denn wie jeder Jurist weiß, ist Wahrheit ein problematischer und schwer zu definierender Begriff. Die Probleme beginnen bereits mit dem bekannten ►selbstbezüglichen Satz "Dieser Satz ist nicht wahr".  Um die Wahrheit dieses Satzes beurteilen zu können, muss man zunächst glasklar definieren, was Wahrheit ist.

Sicher ist Wahrheit kein eigenständiges Ding, sondern eine Eigenschaft, nämlich die einer Aussage oder Behauptung. Wie aber läßt sich diese Eigenschaft erkennen? Können wir einen Satz allgemeingültiger Regeln, wann etwas wahr ist und wann falsch, auf einem endlichen Blatt Papier niederschreiben? Braucht man zur Wahrheitsfindung gar eine unendliche Zeit? Dies wollen wir sogleich näher untersuchen.

Die Wahrheitsmaschine

Nehmen wir an, es gibt eine Wahrheitsmaschine, etwa ein großer Computer, den wir mit einer bestimmten Aussage - bestehend aus einem Satz, einem Dokument oder gar einem ganzen Buch - füttern können. Der Computer analysiert das Dokument und erkennt immer korrekt, ob dessen Aussage wahr ist oder nicht. Im ersten Fall leuchtet auf einer Anzeigetafel die Aufschrift "Wahr", andernfalls "Falsch".

Offensichtlich muss das Programm dieses Computers nicht nur Sätze und Bücher lesen und verstehen können, sondern auch eine vollständige Definition von Wahrheit enthalten. Wenn dieses Wahrheitsprogramm eine endliche Länge hat, können wir es auf einem großen Bogen Endlospapier* ausdrucken. Das tun wir und fügen gemeinerweise folgende Zeile hinzu:

"Ein Computer, auf dem das obige Programm läuft, wird dieses Dokument nicht für wahr erklären."

Ein fieses Experiment

Nun füttern wir den Computer mit dem fiesen Dokument und warten ab, was herauskommt. Wahr? Falsch? Schwarzer Qualm? Der Computer kann das Dokument nicht für falsch erklären, denn das würde es ja bestätigen und somit bewahrheiten. Umgekehrt darf der Computer es aber auch nicht für wahr erklären, denn dann wäre es offenkundig falsch. Die Wahrheitsmaschine wird so lange zwischen wahr und falsch schwanken, bis die Sicherung durchbrennt.

Damit hat unser Dokument letztlich recht behalten: Der Computer hat es nicht für wahr erklärt. Das Dokument war also wahr und die Wahrheitsmaschine dennoch nicht in der Lage, dies herauszufinden - ein Paradox der Wahrheit. Oder hat unser Wahrheitsprogramm einen ►Bug? Den könnten wir beheben, indem wir einen größeren Computer mit einem besseren Programm bauen und ihn mit unserem Dokument füttern. Da sich der Programmausdruck nun nicht mehr auf den Computer selbst bezieht, hat der neue Computer kein Problem, die Wahrheit des Dokuments zu bestätigen. Anders sieht es allerdings aus, wenn wir ein neues Dokument anfertigen, das den Ausdruck des neueren, besseren Wahrheitsprogramms enthält.

Ein Bug im Wahrheitsprogramm?

Offensichtlich benötigen wir eine unendliche Reihe an Computern und Wahrheitsprogrammen, um die Wahrheit wirklich jeden Dokuments herauszufinden. Kein endliches Programm kann den scheinbar so simplen Begriff der Wahrheit je vollständig erfassen. Der Satz "Dieser Satz ist nicht wahr" wäre, wenn er eine Definition von Wahrheit mitliefern würde, unendlich lang.

Man könnte nun annehmen, dass Wahrheitsmaschinen nur dann nicht zwischen wahr und falsch unterscheiden können, wenn ihr eigener Bauplan oder ihr eigenes Programm involviert ist. Dem ist aber nicht so. In den 1930er Jahren bewies Kurt Gödel, dass es in allen komplexen Systemen Aussagen gibt, deren Wahrheit oder Falschheit im Rahmen des betreffenden Systems nicht entschieden werden kann. Ein Beispiel für eine solche unentscheidbare Aussage in der Mathematik ist die ►Kontinuumshypothese. Das Paradox der Wahrheit  ist somit keineswegs eine Spitzfindigkeit, sondern eine der Keimzellen von Gödels Unvollständigkeitssatz.


* Endlospapier ist nicht wirklich unendlich.

■ Wahrheit (Philolex)
■ Wahrheit (Wikipedia)

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