Ordinalzahlen, transfinite, von Georg Cantor definierte Zahlen, die größer sind als jede endliche Zahl. Transfinite Ordinalzahlen werden mit dem Symbol 'Omega' dargestellt, dem letzten Buchstabe des griechischen Alphabets.

Wie kann man sich eine solche Zahl vorstellen? Der Autor Rudy Rucker* beschreibt in seinem Roman Weißes Licht den Berg On, der höher ist als die Unendlichkeit. Der Berg besteht aus einer unendlichen Folge übereinander getürmter Felswände. Nach der unendlichsten Wand aber kommt wieder eine neue unendliche Folge von Wänden, unendlich oft.

Klettern an unendlichen Klippen

Seit undenklichen Zeiten versuchen Kletterer den Berg On zu ersteigen. Auf allen erklommenen Wänden haben sie zur Orientierung mit wetterfester Farbe die Nummer der betreffenden Wand aufgemalt. Man sollte nun meinen, dass die wenigsten je den Gipfel dieses überunendlich hohen Berges erreicht haben. Damit würde man aber die Kletterkünste der On-Besteiger grob unterschätzen. Denn wie jeder Bergsteiger weiß, lernt man an unendlich hohen Bergen wirklich klettern. Der Lerneffekt bei der Überwindung jeder Wand ist so groß, dass man danach doppelt so schnell klettern kann wie vorher. Wenn man also für die erste Wand noch eine Stunde brauchte, schafft man die zweite schon in einer halben und die dritte in einer Viertelstunde. Damit entspricht die gesamte Kletterzeit in Stunden der Summe

Wie man unter Folge nachlesen kann, summiert sich diese unendliche Zahlenreihe zur endlichen Zahl 2.  Nach genau 2 Stunden hat der Kletterer die Wand mit der Nummer ω erreicht. Nur um zu seiner Frustration festzustellen, dass er nicht etwa schon auf dem Gipfel steht. Es erwarten ihn noch mehr Felswände - viel, viel mehr. Und auch diese Wände wurden bereits von seinen Vorgängern überwunden. Das erkennt er an den Nummern ω+1, ω+2 und so weiter, die auf ihnen aufgemalt sind**.

Der frustrierte Bergsteiger

Da Omega größer ist als jede endliche Zahl, sind die Nummern der Wände nun lauter unendlich große Zahlen - die von Cantor so bezeichneten Transfiniten Ordinalzahlen. Eine Ordinalzahl ist Bestandteil einer geordneten Zahlenmenge, also einer Menge, bei der man für jedes Element entscheiden kann, ob es größer oder kleiner ist als ein anderes. Die Menge der Natürlichen Zahlen zum Beispiel ist eine geordnete Menge. Auch die Menge der Wände des Berges On ist eine solche, denn für zwei beliebige Wände lässt sich leicht entscheiden, welche der beiden höher liegt. Die Menge aller Punkte einer Ebene dagegen ist nicht geordnet, denn für solche Punkte gibt es keine Größenunterschiede***.

Eine Zahlenmenge, die sich auf einem Zahlenstrahl, d.h. entlang einer Linie darstellen lässt, ist offensichtlich geordnet. Denn hier kann man für jedes Zahlenpaar entscheiden, dass die auf dem Strahl weiter rechts liegende Zahl die größere ist. Was aber passiert, wenn beide Zahlen unendlich groß sind?

Cantor ging dieses Problem an, indem er über die endlichen Zahlen hinaus einfach weiterzählte. Er markierte auf dem Zahlenstrahl die kleinste Zahl, die größer ist als jede endliche Zahl, mit dem Symbol ω. Damit ist das Ende des Zahlenstrahls jedoch noch lange nicht erreicht. Folgerichtig kann man ab ω mit ω+1, ω+2, . weiterzählen, bis man bei ω+ω = ω∙2 ankommt:

1, 2,. ω, ω+1, ω+2,. ω∙2, ω∙2+1, ω∙2+2,.

Auf die gleiche Weise lassen sich auf dem Zahlenstrahl unendlich viele Strecken definieren, von denen jede die Länge ω hat. Nebeneinander gelegt, ergeben diese Strecken eine unendlich große Ebene - eine Ebene aus ω Strecken mit je ω Zahlen. Die Ebene umfasst also ω∙ω = ω2 geordnete Zahlen.

Seltsame Rechenregeln

Ähnlich wie die unendlichen Kardinalzahlen gehorchen auch die ω-Zahlen speziellen Rechenregeln. ω+1 ist größer als ω, aber 1+ω = ω! Denn da ω größer ist als jede endliche Zahl, ist ω auch größer als 1 plus eine endliche Zahl, was ja wieder eine endliche Zahl ergibt. Ebenso kann man sich überlegen, dass 2∙ω = ω, aber ω∙2 > ω. Die Kommutativität (Vertauschbarkeit der Reihenfolge) von Addition und Multiplikation gilt nur für endliche Zahlen.

Wir sind jedoch mit den Unendlichkeiten noch lange nicht am Ende. Über dieser Ebene von unendlichen Strecken können wir eine zweite Ebene aus ebenso vielen Strecken definieren. Die erste Strecke der zweiten Ebene beginnt dann mit der transfiniten Ordinalzahl ω2.

 ω2, ω2+1, ω2+2,. ω2+ω, ω2+ω+1, ω2+ω+2,.

Darüber lässt sich eine dritte Ebene anordnen, deren erste Strecke mit der Zahlenfolge ω2∙2, ω2∙2+1, ω2∙2+2,. beginnt. Darüber kommt eine vierte Ebene und so fort, bis man wieder ω Ebenen erreicht hat. Nun hat man einen unendlich großen Würfel:

1, 2,. ω, ω+1, ω+2,. ω∙2,. ω2, ω2+1, ω2+2,.

Dieser Würfel enthält ω3 Zahlen. Und noch immer sind wir nicht fertig, denn an diesen Würfel kann man einen dritten, einen vierten usw. ansetzen. Wir befinden uns jetzt in der vierten Dimension und können von vorne beginnen, indem wir erst eine Reihe, dann eine Ebene, dann einen Würfel aus lauter unendlichen Würfeln aufbauen. Diese Hyper-Reihe enthält ω4, die Hyper-Ebene ω5 und der Hyper-Würfel ω6 Zahlen.

Unendlichdimensionale Ebenen

Zweitausend Jahre vor Cantor hatte bereits ein anderer Mathematiker die gleiche Methode zum Aufbau eines Systems extrem großer Zahlen benutzt, nämlich Archimedes bei seiner Berechnung der Sandzahl. Cantor allerdings ging noch einen Schritt weiter. Er wiederholte die obige Operation des Verwendens unendlich großer Würfel als Basiseinheit immer neuer  Linien, Flächen und Würfel unendlich oft. Die Zahl, bei der er schließlich anlangte, war ωω: Die Anzahl der Zahlen in einem unendlichdimensionalen Raum von unendliche langen Zahlenstrecken. Womit aber die Menge der transfiniten Ordinalzahlen noch lange nicht zu Ende ist:

1, 2,. ω,. ω∙2,. ω2, ω2+1, ω2+2,. ωω, ωω+1, ωω+2,.

Geht es noch weiter? Wenn Sie die Folge der Omegas betrachten, fällt Ihnen vielleicht auf, dass ω in regelmäßigen Abständen jeweils einer höheren mathematischen Operation mit sich selbst unterworfen wird:

. ω,. ω+ω,. ω∙ω,. ωω,.

Omega wird erst mit sich selbst addiert, dann mit sich selbst multipliziert und schließlich mit sich selbst potenziert. Jede solche Operation entspricht dem ω-fachen Anwenden der nächstniedrigeren Operation. Sie ahnen, was nach dem Potenzieren kommt? Nennen wir es 'Hyperisieren'. Omega hyper 4 etwa bedeutet Omega dreifach mit sich selbst potenziert:

Unser unendlichdimensionaler Raum von Zahlenstrahlen endet also mit der Zahl Omega hyper Omega oder ω. Endet? Nein, nicht wirklich. ω ist eine verdammt große Zahl, nichtsdestotrotz gibt es eine noch größere, nämlich ω+1. Es wird also Zeit, dass wir mittels der nächsthöheren mathematischen Operation, dem Hyperhyperisieren, die Omegas in den Griff zu kriegen versuchen. Omega hyperhyper 4 hyperisiert Omega dreifach mit sich selbst:

Aber auch nach der Felswand Nr. ωHHHHHHHHHHHHHHω hat, wie Sie sicher vermuten, unser Kletterer noch immer nicht den Gipfel des Berges On erreicht. In der Tat gibt es keine noch so hypermäßige Rechenoperation, mit der wir die Nummer bezeichnen könnten, die auf dem Gipfel über der allerletzten Wand steht. Wir müssen uns mit einem Symbol begnügen, dem großen Omega, dem Gipfelkreuz des Berges On:

Hier sind wir wirklich am Ende. Ω+1 gibt es nicht, denn Ω ist selbst keine Zahl mehr. Ω steht allenfalls für das Konzept des Immer-weiterzählens der Ordinalzahlen über alle Schranken hinaus und damit für das absolut Unendliche****.


* Im Literaturverzeichnis finden Sie ein lesenswertes Buch des gleichen Autors über das Unendliche.

** Allerdings ist der Bergsteiger nach der Überwindung von ω Wänden so fit, dass er die folgenden Felswände in unendlich kurzer Zeit schafft. Trotzdem erwartet ihn, wenn er endlich den Gipfel erreicht hat und in die Ferne blickt, eine weitere Enttäuschung. Am Horizont erhebt sich ein Berg, der noch viel höher ist als der Berg On. Was es mit diesem zweiten Berg auf sich hat, können Sie in der letzten Fußnote dieses Abschnitts nachlesen.

*** Man könnte natürlich eine solche Größenunterscheidung für Punkte definieren, etwa durch eine Funktion, und erhielte dann eine geordnete Punktmenge.

**** Wenn Sie die Abschnitte Kardinalzahlen und Ordinalzahlen aufmerksam vergleichen, müsste Ihnen ein Paradox auffallen. Die Kardinalzahl der Menge der Natürlichen Zahlen ist א0. Da die Ordinalzahlen alle abzählbar und alle abzählbaren Mengen gleichmächtig sind, ist א0 damit auch die Kardinalzahl aller Zahlen bis ω und zugleich aller Zahlen bis ωω. Unter Kardinalzahlen hatten wir jedoch behauptet, dass 2א0 > א0 ist. Wie kann das sein, wenn die letztgenannte Menge sogar ωω Elemente enthält, was ja wohl mehr ist als 2ω?

Wieder kommt uns hier unsere alte Fehlintuition des Unendlichen in die Quere: Die Menge der Zahlen bis ωω enthält keineswegs mehr Elemente als die Menge der Zahlen bis ω. Beide Mengen enthalten gleich viele Elemente. Die Kardinalzahl 2א0 dagegen beschreibt eine viel, viel mächtigere Menge. Ein Berg am Horizont, dessen Zahl der Felswände der Elementzahl einer 2א0-Menge entspricht, lässt den Berg On wie einen mickrigen Hügel aussehen. Allerdings lassen sich die Wände eines solchen Berges nicht mehr zählen, und auf den meisten von ihnen stehen keine Nummern.

Weblinks zum Thema

■ Rudy Rucker
■ Wikipedia: Ordinalzahl
■ Weißes Licht
■ Das Unendliche: Mathematiker ringen um einen Begriff

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