Genesis, Anfang der Welt gemäß dem Schöpfungsbericht der Bibel. Manche Christen (►Kreationismus) glauben auch heute noch an die wörtliche Wahrheit der biblischen Schöpfungslehre. Leider bringt dies zwei Schwierigkeiten mit sich. Zum einen widerspricht die biblische Genesis, wenn man sie als wörtliche Darstellung versteht, fast allen biologischen, historischen, physikalischen und astronomischen Beobachtungen (►Urknall, ►Fossilien usw.). Zum zweiten beschreibt die Bibel nicht nur eine, sondern gleich zwei Schöpfungen, die auch einander eklatant widersprechen. Was hat das zu bedeuten? Wie ist die Genesis tatsächlich zu verstehen? Elemente des ersten Genesis-Teils finden sich bereits im babylonischen Enuma Elisch, dem ältesten schriftliche überlieferten Schöpfungsmythos. Das Enuma Elisch berichtet von der Überwindung des Chaos, der Urflut Tiamat, durch den Schöpfergott Marduk. Hier einige Auszüge: Enuma Elisch (ca. 1200 v.Chr.): Als
in der Höhe die
Himmel noch keine Namen trugen, /
Als drunten die Erde noch nicht benannt war, /
Und der Urstrom, Apsu, Anfang von allem, /
Und die Urflut, Tiamat, aus der alles entsteht, /
noch nicht getrennt waren, /
Als noch kein Land geformt war, keine Küste zu sehen, /
Und noch kein Gott ins Leben gerufen war,
/ keiner einen Namen trug, kein Geschick ihm bestimmt war, /
Da wurden die Götter aus dem Schoß von Apsu und Tiamat geboren.
(....) Einige babylonische Elemente, wie die Urflut, die Trennung von Erde und Himmel und das Festsetzen von Jahreszeiten durch Mond und Sterne, wurden vermutlich zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft in den jüdischen Schöpfungsmythos übernommen: Die doppelte Erschaffung der WeltBibel 1 (ca. 500 v.Chr.): Im
Anfang schuf Gott Himmel
und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über
der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach:
"Es werde Licht." Und es wurde Licht. Gott sah, dass
das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott
nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend
und es wurde Morgen: erster Tag.
Bibel 2 (ca. 1000 v.Chr.): Zu der
Zeit, als Gott
der HERR Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch keine
Feldsträucher und wuchsen noch keine Pflanzen; denn Gott der
HERR hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen und es gab noch
keinen Menschen, der den Ackerboden bestellte; aber Feuchtigkeit
stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des
Ackerbodens. Da formte Gott der HERR Adam aus Erde vom Ackerboden
und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde Adam zu einem lebendigen
Wesen. Widersprüche in der Genesis...Beide Genesis-Berichte scheinen sich, wie sofort auffällt, über die Reihenfolge der Schöpfung nicht einig zu sein. Immerhin herrscht Konsens darin, dass zunächst Himmel und Erde geschaffen werden müssen, bevor es an die weiteren Details geht. Laut Genesis 1 lässt Gott danach zuerst die Pflanzen wachsen, dann setzt er Sonne, Mond und Sterne ans Himmelsgewölbe, schafft Fische und Vögel, schließlich die anderen Tiere und am Schluss Mann und Frau. In Genesis 2 dagegen beginnt die Schöpfung mit dem Mann Adam, darauf folgen die Pflanzen, dann die Tiere (als Hilfe für Adam) und endlich Eva. Während in Genesis 1 der Schöpfungsakt durch ein Wort Gottes erfolgt (Gott sprach: "Es werde..."), formt Gott in Genesis 2 seine Schöpfung persönlich aus Erde vom Ackerboden. Lauf Genesis 1 entstehen Vögel und Fische aus dem Wasser, laut Genesis 2 werden auch sie aus Erde geformt. Genesis 1 gibt eine präzise Zeitangabe für die Schöpfungsdauer - die berühmten 6 Tage. In Genesis 2 dagegen scheint die Schöpfung an einem einzigen Tag passiert zu sein (im hebräischen Originaltext beginnt Genesis 2 nicht mit "Zu der Zeit", sondern mit "An dem Tag"). Freilich müssen wir noch die Monate hinzuaddieren, die Adam braucht, um sich Namen für alle Vögel und Säugetiere (ca. 40.000 Gattungen) auszudenken. Laut Genesis 1 dienen alle Früchte den Menschen zur Nahrung; laut Genesis 2 ist für Adam eine bestimmte Frucht tödlich. Genesis 1 erwähnt keinen bestimmten Ort der Menschwerdung; gemäß Genesis 2 leben die ersten beiden Menschen in Eden, einem Ort, der gleichzeitig in Asien (Eufrat und Tigris) und in Afrika (Land Kusch = Sudan) liegt. Ein weiterer Unterschied fällt hebräischen Original weit stärker auf als in der Bibel-Einheitsübersetzung. Gott ist der Schöpfer in Genesis 1; erst ab Genesis 2 erhält Gott stets den Zusatz der HERR. Ist dies der gleiche Gott? Und wieso wird HERR in einigen Bibelübersetzungen großgeschrieben - ein Zeichen besonderer Ehrfurcht? Vielleicht, aber vor allem ein Zeichen redlicher Übersetzungsbemühungen. Der 'Gott' in Genesis 1 ist 'Elohim' im hebräischen Originaltext. Dagegen ist 'Gott der HERR' die freie Übersetzung von 'JHWH Elohim'. 'Elohim' ist Plural und bedeutet 'die Götter'. In Verbindung mit dem Namen eines bestimmten Gottes - wie JHWH - kann auch der Pluralis Majestatis gemeint sein (etwa wie in 'Wir der Kaiser'). JHWH ist der unaussprechliche Name des jüdischen Gottes, der traditionell, wenn auch nicht ganz korrekt, als HERR bzw. LORD übersetzt wird. Wörtlich beginnt also der erste Schöpfungsbericht mit "Am Anfang schufen die Götter Himmel und Erde...", der zweite mit "An dem Tag, als der Gott JHWH Himmel und Erde machte...". Dies heißt jedoch nicht, dass Genesis 1 den ►Polytheismus predigen würde. Elohim läßt sich, wenn kein bestimmter Gott gemeint ist, auch im Sinne von 'die göttlichen Kräfte' verstehen. ...ergeben eine GeheimbotschaftDie Torah - Grundlage des Alten Testaments - wurde einige Jahrhunderte vor Christus von jüdischen Priestern aus vielen Einzeltexten zusammengestellt und teilweise überarbeitet. Bibelforscher stimmen darin überein, dass Genesis 2 sowie die folgenden Teile des 1. Buches Mose wesentlich älter sind als Genesis 1. Die Bibel-Herausgeber haben also den Text Genesis 1 nachträglich an den Beginn der Bibel angefügt. Kann es sein, dass ihnen dabei die vielen Widersprüche der zwei Schöpfungsberichte nicht aufgefallen sind? Wohl kaum. Es bleibt nur die Schlussfolgerung, dass eine Absicht dahinter steckt. Doch welche? Anscheinend wollten die Bibel-Herausgeber mit den auffälligen Widersprüchen in den Schöpfungsberichten gleich zu Beginn der Bibel dem Leser etwas mitteilen. Jedoch nicht jedem Leser, sonst hätte man diese Mitteilung ja auch offen in die Bibel aufnehmen können. Zwischen den Zeilen der Genesis - genauer gesagt in den Unterschieden der beiden Berichte - steckte also eine geheime Botschaft, die nur Kundigen zugänglich war. Um die Botschaft als solche zu erkennen, musste man die Chronologie vergleichen. Adressat war also der gebildete, vielleicht gar kritische Leser - wie etwa ein Priester oder Schriftgelehrter. Dass die Botschaft direkt an den Anfang der Bibel platziert wurde, hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen könnte die Botschaft eine Art Schlüssel sein, der angibt, wie die weiteren Texte der Bibel zu interpretieren sind. Zum zweiten ist der Beginn der Bibel der prominenteste und damit sicherste Ort, um versteckte Inhalte vor späteren Abänderungen oder Zensur zu schützen. Doch worin besteht nun die geheime Botschaft, die nur für einen bestimmten Leserkreis - einschließlich der Priester des JHWH-Kults - zu entschlüsseln war? Dass das Versteck der Bundeslade oder die Vorhersage des nächsten Börsencrashs in der Bibel kodiert sind, ist trotz entsprechender Buchveröffentlichungen leider eher unwahrscheinlich. Die Botschaft hat einen einfacheren, aber auch grundlegenderen Inhalt. Der Bibelcode - geknackt!Buchreligionen wie Judentum, ►Christentum und ►Islam haben von jeher das Problem der Interpretation ihrer heiligen Schriften. Da diese als von Gott direkt inspiriert gelten, dürfen sie keine Fehler oder Widersprüche enthalten. Schlichte Gemüter, die die Texte von vorneherein für ►unfehlbare Wahrheit halten, werden zwar immer auch nur diese darin finden. Sobald jemand jedoch die Schriften kritisch unter die Lupe nimmt und gar seine Entdeckungen nicht für sich behält, gerät die betreffende Religion in Erklärungsnot. Auch heute noch wäre es fast unmöglich, ein komplexes Buch vom Umfang der Bibel völlig fehlerfrei zu schreiben. Und so finden sich auch in der Bibel Tausende von historischen und logischen Fehlern und inneren Widersprüchen*. Dies war den JHWH-Priestern bewusst, so dass sie bei der Zusammenstellung der Torah einige Anstrengungen unternahmen, die Schriften zu editieren und aneinander anzupassen. Doch wurde ihnen irgendwann klar, dass immer neue Erkenntnisse immer neue Fehlerquellen in der Bibel aufdecken würden. Was tun, wenn sich herumspricht, dass Eufrat und Tigris keine gemeinsame Quelle haben und das Land Kusch nicht an Persien** grenzt? Schließlich gehört es zum Prinzip heiliger Schriften, dass man nicht ständig an ihnen herumdoktern und korrigieren kann. Irgendwann muss Schluss sein. Im Gegensatz zu den anderen Buchreligionen fanden die Priester der Torah eine geniale Lösung. Sie fügten den in ihren Augen besonders zweifelhaften Texten - wie der Sintflut oder der Genesis - eine zweite, parallele Darstellung hinzu. So beginnt nun die Bibel nicht mit dem althergebrachten Schöpfungsmythos, sondern mit einem Bericht, wie es wirklich geschah - zumindest nach den damals neuesten Theorien aus Babylon. Genesis 2 ist eine Fabel, Genesis 1 dagegen eine poetische Beschreibung der Entstehung der Welt durch anonyme göttliche Kräfte. Im Enuma Elisch-Epos baut der Gott Marduk das Himmelsgewölbe, teilt die beseelte Urflut Tiamat und erschafft dadurch die feste Erde. Genesis 1 enthält die babylonische Schöpfungslehre bereinigt von den babylonischen Göttern, ein durchdachtes Konzept eines Schöpfungsprozesses vom Einfachen hin zum Komplexen. Wenn man "die Götter" durch "die Naturkräfte" und "6 Tage" durch "14 Milliarden Jahre" ersetzt, endet man fast beim ►Urknall und der Evolution. Dass auch Genesis 1 mittlerweile ein wenig überholt ist, macht nichts. Denn die bloße Voranstellung dieses Textes beseitigt alle Fehler und Widersprüche des Alten Testaments, indem sie die Schrift auf eine poetische Ebene hebt und dem kundigen Leser verrät, wie die Torah wirklich zu verstehen ist. So also lautet die geheime Botschaft am Anfang der Bibel: Dieses Buch ist Fiktion. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig.Die Torah ist eine poetische Schriftensammlung und will nicht mit einem Geschichts-, Astronomie- oder Geografiebuch verwechselt werden. Sie propagiert den Glauben an den Gott JHWH, nicht an ein Buch. Wann immer der kundige Leser möchte, kann er zu Genesis 1 zurückblättern und lernen, wie die Schöpfung tatsächlich passierte - nach dem damals neuesten Stand der Schöpfungslehren. Die Botschaft fordert den Leser auf, Erkenntnis und Glauben vereinbaren zu lernen, indem er sich ihrer Unterschiede bewusst wird. Hat die geheime Bibel-Botschaft ihr Ziel erreicht? Vielleicht, denn heutzutage - nach langen Ab- und Irrwegen - werden ►Wissen und ►Glauben weitgehend als verschieden und dennoch vereinbar betrachtet. Auch wenn die Botschaft der Torah-Priester noch nicht in allen Teilen der Welt vollständig angekommen ist (►Kreationismus), kann man hoffen, dass dies eines nicht allzu fernen Tages der Fall sein wird. * Viele sind unter ►http://skepticsannotatedbible.com akribisch aufgeführt. ** Freilich haben Fundamentalisten, die den Inhalt der Bibel für wörtliche Wahrheit nehmen, keine Probleme, solche Widersprüche zu erklären. In diesem Fall etwa lautet die gängige Erklärung, dass das Land Kusch ursprünglich in Asien lag und erst durch die Sintflut nach Afrika geschwemmt wurde. Weblinks zum Thema ■ Einführung
in die Bibel
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