Chaos (v. griech. cháos "Urleere"), Bezeichnung für eine extreme Beeinflussbarkeit oder Unvorhersagbarkeit eines Systems.

In der griechischen Mythologie war das Chaos der wüste Urzustand der Welt, aus dem die Götter entsprangen. Später bekam Chaos die Bedeutung einer vollständigen Unordnung als Kontrast zum Kosmos, der geordneten Welt. Im Gegensatz zur populären Auffassung gibt es keine 'Chaostheorie' als wissenschaftliche Theorie. Allerdings werden Teilgebiete der Mathematik und Physik, die sich mit der Entwicklung so genannter nichtlinearer Systeme befassen, zuweilen als Chaostheorie bezeichnet.

'Chaos' bezieht sich dabei weniger auf die Ordnung oder Unordnung des betreffenden Systems, sondern auf sein Verhalten. Beliebig kleine Änderungen des Anfangszustands eines nichtlinearen Systems können zu drastischen und praktisch unvorhersagbaren Veränderungen in der späteren Entwicklung führen. Ein solches System zeichnet sich also durch eine fast unendliche Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen aus. Das ist der berühmte Schmetterlingseffekt: "Der Schlag eines Schmetterlingsflügels im Amazonas-Urwald kann einen Orkan in Europa auslösen."

In der Tat war das Wetter das klassische Beispiel für ein nichtlineares System. Der Meteorologe Edward Lorenz entwickelte 1963 ein einfaches Computermodell zur Vorhersage von Druck und Temperatur in der Atmosphäre. Er entdeckte dabei, dass winzige Änderungen in den Anfangsparametern seiner Gleichungen zu völlig unterschiedlichen Wetterentwicklungen führen. Dafür prägte er den Begriff 'Schmetterlingseffekt'. Das System aus drei relativ einfachen Funktionen - Differentialgleichungen* -, das er für sein Modell verwendete, generiert eine chaotische mathematische Kurve, die als Lorenz-Attraktor bezeichnet wird.

Lorenz-Attraktor

Der Schmetterlingseffekt hat weder etwas mit dem Zufall, noch mit der Unschärferelation der Quantentheorie zu tun. Er kann zwar durch echte Zufallsereignisse, wie Quantenfluktuationen, ausgelöst werden, tritt jedoch auch in vollkommen deterministischen, zufallsunabhängigen Systemen auf. Einfache physikalische Systeme, wie Turbulenz in einer Flüssigkeit oder ein Pendel, das an einem anderen Pendel befestigt ist, zeigen bereits ein chaotisches Verhalten mit extremer Abhängigkeit von kleinen Änderungen des Anfangszustands. Auch bestimmte mathematische Kurven, vor allem Fraktale, zeigen diesen Effekt.

Wenngleich der Zufall in solchen Systemen keine Rolle spielt, erscheint es uns so, da die Wirkung unmerklicher Änderungen der Anfangsbedingungen kaum vorhersagbar ist. Der Schmetterlingseffekt tritt aber auch in wesentlich komplexeren nichtlinearen Systemen auf, etwa in der Geschichte: Das falsche Abbiegen eines Chauffeurs in Sarajewo war der Auslöser für den ersten Weltkrieg.


*    dx/dt = a(y-x)
     dy/dt = x(b-z) - y
     dz/dt = xy - cz

Die numerische Lösung dieser drei Gleichungen zeigt für bestimmte Parameterwerte, etwa a = 10, b = 28, c = 2,666 ein chaotisches Verhalten.

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